Bergunfälle passieren meist wegen Planungsfehlern
Sepp Egarter wurde am Berg groß und ist bereits seit über vier Jahrzehnten als Bergführer und Bergretter tätig. Im Interview betont er, wie wichtig eine genaue Planung von Unternehmungen im alpinen Gelände ist und welche Rolle soziale Medien bezüglich möglicher Gefahren spielen.
VILLACH exclusiv: Die Berichte über tragische Bergunglücke häufen sich. Haben die Unfälle auch Ihrer Erfahrung nach zugenommen?
Sepp Egarter: Im Vergleich zu früheren Zeiten sind mittlerweile viel mehr Menschen auf den Bergen unterwegs. Wenn man das in Relation setzt, dann hat sich die Zahl der Unfälle meiner Erfahrung nach nicht dramatisch erhöht. Ein Unterschied besteht darin, dass heute über jeden Unfall sofort in den Medien berichtet wird. Ein Großteil der Bergungen wird mittlerweile mit dem Hubschrauber durchgeführt, was dann gleich medienwirksam dargestellt wird.
VILLACH exclusiv: Welche Fehler werden am häufigsten als Unfallursachen gemacht?
In den allermeisten Fällen handelt es sich um Planungsfehler. Vielfach kommen Leute ohne Bergerfahrung, und man hat das Gefühl, sie gehen davon aus, einen Mittagsspaziergang im Wiener Prater zu machen. Viele Bergungen gehen auf Orientierungsfehler zurück, die durch eine bessere Planung zu vermeiden gewesen wären. Es ist schon passiert, dass wir Personen bergen mussten, die sich in unmittelbarer Nähe vom Normalweg befanden und nicht mehr rauf oder runter wussten, obwohl es sich um relativ leicht begehbares Gelände handelte.
VILLACH exclusiv: Wäre es gut, sich im Vorfeld eine leichte und alternative Rückroute zu suchen, wenn plötzlich schlechtes Wetter auftauchen sollte?
Schlechtes Wetter darf heute nicht mehr überraschen, weil man über das Internet und die Medien den Wetterverlauf sehr gut nachvollziehen kann. Darüber muss ich mich informieren, ebenso darüber, ob ich einen Normalweg oder einen Klettersteig bestreiten werde. Auch die im Hochsommer höhere Gewitterneigung muss bei der Tourenplanung berücksichtigt werden. Bei meinen Führungen ist mir auch aufgefallen, dass in den Steiganlagen nicht die Aufstiege das Problem sind, sondern häufig die Abstiege. Hinunter geht es oft über steiles Gelände, das nur mit Steigspuren versehen ist und auf dem sich viele Leute sehr unsicher fühlen. Keine Erfahrung und wenig Trittsicherheit führen dann dazu, dass es oft zu Notsituationen kommt.
VILLACH exclusiv: Worauf sollten Wanderer und Skitourengeher im Winter besonders achten?
Im Winter ist vergleichsweise alles viel schwieriger einzuschätzen als im Sommer. Die meisten erkundigen sich zwar über die allgemeinen Schneeverhältnisse und möglichen Gefahren, können aber überhaupt nicht einschätzen, was etwa Lawinenwarnstufe drei dann am Berg tatsächlich bedeutet. Im Sommer, aber noch mehr im Winter zählen am Berg deshalb vor allem solide Grundausbildung und Erfahrung.
VILLACH exclusiv: Man sollte also mit leichten Touren oder gemeinsam mit einem Bergführer seine ersten Wanderungen machen?
Immer wieder leihen sich Leute eine Bergausrüstung aus und legen selbstständig los. Wie bei allen anderen Sportarten auch ist es sinnvoll, eine Grundausbildung zu machen und einen Einblick zu gewinnen. Man sollte mit leichten Touren beginnen und seine Ziele dann je nach gewonnener Erfahrung anpassen. Man muss sich ständig weiterentwickeln, auch ich nehme nach jahrzehntelanger Tourenerfahrung an Weiterbildungen teil. Problematisch ist jedoch, dass die Leute sofort Action wollen. Möglichst schnell rauf auf einen Gipfel und dann am besten gleich ein Selfie vom Gipfel des Großvenedigers ins Netz stellen.
VILLACH exclusiv: Welche Rolle spielen die sozialen Medien diesbezüglich?
Wenn heute jemand seine Tour – meist handelt es sich um Skitouren – auf Facebook oder Instagram stellt, dann machen am nächsten Tag 35 Leute denselben Weg. Viele, die sich selbstständig diese Tour nicht zugetraut hätten, wollen sie dann bewältigen, weil sie bereits ein anderer gemacht hat. Aber auch wenn es schon eine Spur gibt, muss man immer die rasch wechselnden Bedingungen miteinkalkulieren. Gab es am Vortag noch Schönwetter und Pulverschnee, kann Wind über Nacht bereits für eine ganz andere Lawinengefahr sorgen. Die neuen Medien führen meiner Meinung nach schon zu mehr Risikobereitschaft.
VILLACH exclusiv: Welche Erlebnisse als Bergführer und Bergretter sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Als Bergführer könnte ich über unzählige positive Situationen und Erlebnisse berichten. In Erinnerung bleibt mir eine Führungstour auf den Mangart. Bei der Auffahrt über die enge und kurvige Kriegsstraße mit einem gewaltigen Tiefblick in das Tal der Koritnica wurde mein Gast ganz bleich im Gesicht, und ich ahnte Übles. Wackelig auf den Beinen stieg er aus dem Auto aus, wandte sich zu mir und meinte: „Sepp, ich glaube das war’s für heute …“. Letztlich gelangten wir doch auf den Gipfel des Mangart. Nach dem Abstieg musste ich ihn überreden, ins Auto einzusteigen, denn er wollte ernsthaft den weiten Weg entlang der Bergstraße zu Fuß zurücklegen.
Als Bergretter fällt mir spontan eine Bergung dieses Sommers ein. Dabei ist eine Familie mit Kindern in den Nordostgrad am Mittagskogel eingestiegen. Sie konnten nicht mehr vor oder zurück, und wir mussten sie per Seilbergung zurückholen. Aufgrund der starken Steinschlaggefahr war es ein schwieriger Einsatz. Unverständlich für mich war, dass alle ohne Helm und entsprechende Bergsteigerausrüstung unterwegs waren. Denn diese Tour wird in der Regel mit Seilsicherung begangen. Natürlich gab es auch genug tragische Vorfälle, aber die müssen wir hier nicht groß herausstreichen.
Zur Person: Sepp Egarter ist im Maltatal aufgewachsen. Sein Vater war Berufsjäger, und die Familie betrieb eine kleine Landwirtschaft. Der heute 72-Jährige ist seit 1980 Bergführer und leitet die Alpinschule 4 Jahreszeiten in Villach.
Interview: Christian Granbacher