Ausgabe 37: Frühjahr / Sommer 2018

„Buben müssen auch Buben sein dürfen“

Ist für Männlichkeit überhaupt noch Platz in unserer Gesellschaft? Durch Geschichten kann man etwas bewegen. Also erzählen auch wir heute ein Geschichte: die vom 8-jährigen Mathias, dem die Antimännlichkeitserziehung ganz gehörig auf den Sack geht.

Mathias ist ein fröhlicher, aufgeweckter Bub. Hat Freunde, ist neugierig, vielfach interessiert, erforscht gern die Natur, streunt mit Freunden durch die Gegend. In der Schule jedoch fällt er aus dem Rahmen. Laut, wild, schlägt sich in der Pause mit Gleichaltrigen. Fast tagtäglich hat Mathias einen neuen Vermerk seiner Klassenlehrerin im Mitteilungsheft, das er von der Schule mit nach Hause bringt. Seine Leistungen sind nicht berühmt; sein Verhalten bestenfalls kreativ oder originell, wie es die Direktorin bezeichnet.

Mathias ist lebhaft und hat einen unglaublichen Bewegungsdrang, will seine Kräfte, Stärken und Grenzen austesten. Im Grunde eine ganz normale Entwicklung. Seitdem Mathias´ Lehrerin im Sportunterricht statt Fußball und anderen Ballspielen verstärkt auf Yoga setzt, um die jeweilige Mitte zu finden, hat er auch in der Turnstunde immer seltener die Möglichkeit, seine Aggressionen abzubauen, sich auszupowern und mit anderen zu messen. Und auf Yoga pfeift Mathias sowieso. Jungs haben ihre Rangkämpfe und leben in einem ständigen Wettkampf. Mathias ist keiner, der nochmal hintritt, wenn jemand bei einer Rauferei am Boden liegt.

Aber gewisse Auseinandersetzungen regelt er mit seinen Mitschülern doch schon mal im körperlichen Wettbewerb. Seine Klassenlehrerin hat dafür kein Verständnis. Auch wenn Mathias mit den Kontrahenten gleich danach wieder gemeinsam Fußball spielt. Raufereien werden von ihr per se negativ bewertet und dürfen nicht stattfinden. So oder so.

 

Weiblich geprägte Harmoniewelt?

Das Schulsystem kommt offensichtlich eher den Mädchen entgegen. Darauf deuten zumindest die Fakten. Mädchen bringen in der Schule bessere Leistungen und brechen deutlich seltener die Schule ab. Buben und Mädchen ticken anders. Warum also nicht die geschlechterspezifischen Eigenheiten sich im Unterrichtssystem zu Nutze zu machen?

Vor allem in der frühkindlichen Erziehung fehlt es den Buben oft an männlichen Identifikationsfiguren. Erziehung ist immer noch weitgehend Frauensache; ist die Mutter verhindert, springt oft die Oma als Betreuung ein. Im Kindergarten ist die Kindergärtnerin – und je jünger die Schüler, desto höher ist auch in der Schule der Frauenanteil im Lehrpersonal. In der Volksschule sind sieben von zehn Lehrkräfte weiblich. „Vielleicht würde ein Lehrer Mathias besser verstehen“, so seine Mutter, „schließlich weiß er aus eigener Erfahrung um die Bedürfnisse, Ängste und Sorgen von Buben in diesem Alter.“ Wäre das Verständnis für Buben in der Schule größer, würden sie von Männern unterrichtet werden? Die Forderung nach mehr Männern im Volksschul-Lehrberuf ist jedenfalls nicht neu. „Bereits vor 20 Jahren habe ich eine Quotenregelung für Volksschullehrer gefordert“, so Walter, ehemaliger Lehrer und Schülerberater, „damals wurde ich mit dieser Forderung völlig ignoriert.

Bis heute hat sich an der Situation auch nicht wirklich viel geändert.“ Im Sinne einer Ausgewogenheit und „weil ich das Gefühl habe, dass etwaige Probleme von Mann zu Mann anders gesehen werden, wäre es extrem wichtig, mehr Männer für diesen Beruf zu begeistern. Das Berufsbild muss generell aufgewertet werden, auch finanziell, dann würde sich endlich auch das Image ändern.“

 

Persönlichkeitsabhängig

Es gibt sie, zum Glück, die tollen Lehrer: Menschen, denen man vor Freude um den Hals fallen möchte, weil sie die Kinder oder Enkelkinder in der Volksschule optimal auf den weiteren Lebens- und Bildungsweg vorbereitet haben. Lehrerinnen, wie etwa die meines Sohnes, die auch gern mal im Turnunterricht beim gemischten Fußballspiel im Tor steht – und springt und jubelt und offensichtlich auch wirklich Spaß daran hat. Eine Lehrerin, die authentisch und echt mit ihrem Gegenüber interagiert und sich trotz des straffen Lehrplanes immer noch die Zeit nimmt, auf momentane und geschlechterspezifische Bedürfnisse einzugehen.

Sie macht es aus einem Selbstverständnis heraus, für jedes Kind, und nicht vor dem Hintergrund Rollenstereotype zu bedienen. Egal ob Mann oder Frau den Lehrberuf ausübt, eines ist klar: es hängt neben der Ausbildung und Qualifikation immer von der jeweiligen Persönlichkeit ab. „Pädagogik ist ein breites Feld und ebenso wie beispielsweise die Kunst oder Theologie ein Fass ohne Boden. Jemand, der diesen Beruf gern macht, der dafür brennt und begeistert ist, das ist ein guter Lehrer.“

Mathias wird im nächsten Jahr auf Anraten der Direktorin zurückgestuft. Seine Leistungen sind hinter denen der restlichen Klasse zurückgeblieben. In der neuen Klasse wird Mathias jetzt den einzigen männlichen Lehrer an der Volksschule als Klassenlehrer bekommen. „Auch wenn es hart ist, ihn aus seiner Klassengemeinschaft herauszureißen“, so Mathias´ Mutter, „wer weiß, wofür es gut ist.“

 

Text: Gerlinde Tscheplak