Demenz – der Fluch des Alterns
Es ist das Phänomen unserer immer älter werdenden Gesellschaft: Die Demenz ist im Vormarsch und Alzheimer dabei ganz vorneweg. Ist das der Preis, den wir für ein langes Leben zahlen müssen?
„In Wahrheit ist es etwas Tolles, sehr Großartiges und Positives, dass wir so ein hohes Alter erreichen, und wir können daher auch nur dankbar sein, in so einer Zeit zu leben, in der sehr viele das Greisenalter erreichen“, so der Neurologe und Buchautor Klaus-Dieter Kieslinger.
„Bei jedem Gehirn treten mit der Zeit des Lebens degenerative Veränderungen auf. Altersveränderungen sind normal, denn das Gehirn altert wie jedes andere Organ auch – d. h., das Gehirn verliert an Zellen, verliert an Masse, es wird weniger, es wird kleiner, und es treten Narben auf, die mit der Zeit mehr werden. Hier reden wir vom normal alternden Gehirn, ohne dass Zusatzerkrankungen auftreten. Das Gehirn ist eben auf eine bestimmte Lebensspanne ausgelegt. Indem wir aufgrund der Lebensweise, der modernen Medizin und Pflegesituation sehr alt werden, erleben Menschen heute ihre Demenz, die sie sonst nicht erlebt hätten. Wenn wir jetzt spekulieren, könnte man sagen: Würden wir Menschen 150 Jahre alt werden, dann würde vermutlich jeder Demenz bekommen.“
WHO warnt vor Alzheimer-Epidemie
Schon seit Jahren warnt die WHO vor einer Alzheimer-Epidemie und deren gesellschaftlichen Folgen, „wobei Epidemie in diesem Zusammenhang begrifflich zwar falsch ist“, so Kieslinger, „aber es stimmt natürlich insofern, dass, je mehr Menschen ein hohes Alter erreichen, auch mehr Menschen ihre Demenz erleben. Die Frage ist, wie geht die Menschheit damit um.“
Aktuellen Berechnungen zufolge kommen heute in der EU zwei Demenzpatienten auf 100 erwerbsfähige Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren, Mitte des Jahrhunderts werden es bereits fünf Demenzkranke sein. Die Krankheit ist im Vormarsch, und die Zahl der Erwerbstätigen geht zurück – eine europaweit absehbare Entwicklung.
Demenz im Vormarsch und Gesellschaft an ihren Grenzen
„Wenn man ausgehend von unserer Gesellschaftspyramide weiterdenkt, liegt darin ein großes gesellschaftliches Dilemma“, sagt Klaus-Dieter Kieslinger: „Und da muss man sich natürlich die Fragen stellen, wer wird künftig all diese demenzkranken Menschen versorgen, wer sind die Pflegekräfte von morgen, und wie will man das überhaupt finanzieren. Ich sehe darin ein riesiges, gesamtgesellschaftliches Problem, auf das wir offenen Auges zusteuern.“ Demenz wird zur Volkskrankheit Nummer eins. Aktuell leiden in Österreich laut der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft etwa 100.000 Menschen an einer demenziellen Erkrankung. 2050 rechnen die Experten mit mehr als 230.000 Fällen. Die Kosten für die Versorgung belaufen sich derzeit in Österreich bereits jährlich auf etwa eine Milliarde Euro. Die Finanzierung, aber auch die Abdeckung der Pflege wird somit zu einer der großen Herausforderungen.
Was kann ich präventiv tun?
Unsere Lebensweise gekoppelt mit den damit verknüpften Risikofaktoren spielt bei Demenz eine enorme Rolle. „Das, was wir als krankhafte Demenz sehen, ist einfach ein Prozess, bei dem es wesentlich schneller geht als beim Durchschnitt“, so Kieslinger, „und diesen Prozess kann man in vielen Fällen Demenz – der Fluch des Alterns Foto: René Puglnig/mapo – stock.adobe.com Jahresausgabe 2024 Seite 39 Foto: Klaus Huber präventiv hinauszögern.“ Es gibt also durchaus Chancen, sein eigenes Demenzrisiko zu senken. Wie so oft führt dieser Weg über eine bewusste, gesunde Lebensweise, bei dem es gilt, Risikofaktoren wie etwa hohen Blutdruck, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, hohes Cholesterin, Stress, Schlafmangel oder auch schlechte Ernährung zu vermeiden.
„Der eine Punkt der Prävention ist die sog. Reservekapazität bzw. die kognitive Reserve: Sie gibt Aufschluss darüber, wie funktionstüchtig das Gehirn ist, um degenerative Schädigungen im Hirn auszugleichen. Mit einer guten Reservekapazität kann man seine statistische Chance erhöhen“, so der Neurologe. „Betrachten wir die Demenz nach den Ursachen, so gibt es drei Formen, die ganz häufig sind: Morbus Alzheimer, der für 60–80 % der Demenzen verantwortlich ist, gefolgt von der vaskulären Demenz. Diese Form der Demenz entsteht dadurch, dass die Durchblutungssituation des Gehirns im Laufe der Jahrzehnte prekärer wird, sodass im Gehirn Narben entstehen, die in großer Zahl wiederum zur Demenz führen können.“
Demenz ist nicht heilbar, aber der Verlauf kann verlangsamt
werden Die dritthäufigste Form ist die sogenannte Mischdemenz, bei der eine Alzheimer Demenz auf eine vaskuläre Demenz trifft – „und hier wird es interessant“, so Kieslinger, „an zweiter und dritter Stelle sind Demenzen, bei denen man schon präventiv wirken kann, denn vaskuläre Schädigungen kann man eben durch einen gesunden Lebenswandel hintenanhalten.“
Bis zu einem gewissen Maß hat es jeder einzelne selbst in der Hand, gesund zu altern und darauf zu achten, dass sich das Gehirn gut hält. „Und auch um die 50 hat man noch die Chance, hier Großes zu bewirken“, betont Kieslinger, „so ab 60 beginnt sich dann die Spreu vom Weizen zu trennen, und die Unterschiede sind riesig. Natürlich gibt es Schicksalsschläge oder Krankheiten, auf die man keinen Einfluss hat – aber sehr oft ist das einfach auch selbstbestimmt.“
Für die Zukunft braucht es große medizinische, gesellschaftliche und politische Strategien; Präventivmedizin ist nur ein Teil davon; Modelle, um beispielsweise Pflegeberufe wieder attraktiver zu machen, ein anderer. Eine aussichtslose Situation? „Hoffnung gibt es immer“, so Kieslinger, „wenn man darüber redet, und darüber schreibt, dann kommen viele kleine Steinchen ins Rollen. Schlussendlich muss es ja die gesamte Gesellschaft lösen, und das gehört auf breiter Basis diskutiert.“
Zur Person:
Der gebürtige Wolfsberger KlausDieter Kieslinger ist als Facharzt für Neurologie sowohl in eigener Praxis als auch im klinischen Bereich in Salzburg tätig. Als erfolgreicher Buchautor geht er aktuellen Themen aus Neurologie und Hirnforschung auf den Grund und ist als Experte regelmäßig im Radio und Fernsehen zu Gast. An der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg wurde er für besondere Verdienste in der Lehre ausgezeichnet und unter anderem zum Teacher of the Year gewählt.
kieslinger-neurologie.at
Text: Gerlinde Tscheplak