Mehr und mehr Freiräume für Mitarbeiter
Flexibilität ist das große Schlagwort, wenn es um die Gestaltung von Arbeit geht. Homeoffice, Vier-Tage-Woche und freie Zeiteinteilung gewinnen in den allermeisten Unternehmen an Zuspruch.
Beinahe jedes Unternehmen sucht händeringend nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Aufgrund der vielen offenen Stellen ist ein Arbeitnehmermarkt gegeben, weshalb Arbeitssuchende beinahe schon frei wählen können, für welches Unternehmen sie tätig sein wollen. „Viele Führungskräfte müssen sich mittlerweile an den Bedürfnissen der Mitarbeiter ausrichten, denn diese sind neben der Energieversorgung eine der großen Engpassressourcen. Vor allem wenn man qualifiziert und weiterhin lernorientiert ist, tut man sich leicht, einen attraktiven Arbeitgeber zu finden“, erklärt Ursula Liebhart, Professorin für Personal und Organisation an der Fachhochschule Kärnten im Studienbereich Wirtschaft und Management.
Flexibilität zulassen oder mit Kündigung rechnen
Unternehmer sind also immer mehr gefordert, ihren Mitarbeitern vor allem in punkto Flexibilität weit entgegenzukommen. Eine Studie des digitalen Netzwerks LinkedIn, das beruflichen Online-Austausch ermöglicht, warnt davor, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter verlieren könnten, würden sie hier zu wenig Spielraum zulassen. „49 Prozent der österreichischen Arbeitnehmer erwägen aufgrund fehlender Flexibilität durchaus eine Kündigung“, heißt es in der Studie. Gut ein Viertel (26 Prozent) sei diesen Schritt sogar bereits gegangen.
Immer mehr Arbeitgeber sind ohnehin bereit, Homeoffice, flexible Arbeitszeitmodelle oder eine Vier-Tage-Woche zu ermöglichen. „Bei den Unternehmern gibt es die ganze Bandbreite. Jene, die ihren Personalverantwortlichen freien Spielraum bezüglich Homeoffice oder Anwesenheit in der Firma geben und sagen, Hauptsache der Kunde ist am Ende zufrieden. Welche, die wöchentlich ein oder zwei Tage Arbeit in den eigenen vier Wänden unterstützen, bis hin zu jenen, die noch ein veraltetes Mindset haben: null Homeoffice zulassen und davon ausgehen, die Mitarbeiter seien zu Hause nicht produktiv“, so Ursula Liebhart.
Mehr Gestaltungsspielraum ist gegeben
Früher seien laut der FH-Professorin die Rollen klar verteilt gewesen. Gearbeitet haben vorwiegend Männer und das zu ganz bestimmten Zeiten. Heute werde der Arbeitsmarkt durch qualifizierte Frauen und flexiblere Arbeitszeitmodelle bereichert. „Mittlerweile ist alles viel individualisierter, mit einem viel größeren Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum, als ihn die Generation davor hatte“, so Liebhart. Einen Preis gibt es dennoch zu zahlen: Die Konsequenz der vermehrten Flexibilität ist nämlich, dass es viel mehr Vereinbarungen, Gespräche und Entscheidungen braucht, um auf alle individuellen Bedürfnisse eingehen zu können. Diese Vielzahl an Entscheidungen würde sowohl den Führungskräften als auch den Mitarbeitern vieles abverlangen, und es werde anstrengend, wenn vieles ausdiskutiert werden muss.
Weniger Arbeit bei höherer Inflation?
Vor allem junge Arbeitskräfte empfinden die Möglichkeit, Homeoffice zu betreiben beinahe schon als selbstverständlich. Arbeitgeber klagen vermehrt darüber, Leute für 40-StundenJobs zu suchen, aber nur mehr welche zu finden, die bereit sind 30 Stunden oder weniger pro Woche zu arbeiten. Die Arbeitskräfte erkennen, wie wichtig ihnen neben dem Beruf auch sonstige Bereiche des Lebens sind. Die Work-Life-Balance rückt in den Vordergrund. Mehr und mehr junge Menschen sind bereit, auf Materielles zu verzichten, und geben sich mit weniger zufrieden. „Ich muss für die junge Generation eine Lanze brechen: Dass vielen Zeit wichtiger wird als Geld, heißt nicht, dass sie nicht gerne und hart arbeiten. Aber zu erkennen, dass das Leben neben der Arbeit durch viele andere Facetten bereichert wird, finde ich doch für jeden von uns absolut in Ordnung“, sagt Liebhart.
Ganz so einfach ist die Sache jedoch leider nicht. Viele angehende Arbeitskräfte sind auch frustriert. Immobilien sind teuer wie nie zuvor. Das Eigenheim ist so gut wie nicht mehr leistbar. Die immens hohe Inflation trägt das ihre zur Verunsicherung bei. „Bei Paaren mit Kindern müssen häufig beide Vollzeit arbeiten, um über die Runden zu kommen“, so Liebhart. Die junge und moderne Berufsgeneration befindet sich neben all den Vorzügen der Flexibilität und den neuen Möglichkeiten also auch in einem Dilemma.
„Mittlerweile ist die Arbeitswelt viel individualisierter, mit einem viel größeren Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum, als ihn die Generation davor hatte“, sagt Ursula Liebhart, Professorin für Personal und Organisation an der Fachhochschule Kärnten im Studienbereich Wirtschaft und Management.
Text: Christian Granbacher